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"Es hilft nur, regional zu denken."

Thomas D, Mitglied der „Fantastischen Vier“, gilt als musikalisches Aushängeschild für nachhaltigen Lebensstil. Im Interview verrät er, was ihn bewegt.

Vor zehn Jahren brachtest du dein Album „Lektionen in Demut“ auf den Markt. Im Frühjahr erschien „Lektionen in Demut 11.0“, mit neuer Musik zu den Texten von damals. Wie kamst du darauf?

Ich dachte immer, dass „Lektionen in Demut“ ein Ausnahmealbum war, das einen zweiten Teil verdient hätte. Als ich mir die Texte wieder anhörte, merkte ich, dass man ihnen nichts hinzufügen kann. Sie haben deutlich mehr Brisanz als vor zehn Jahren, sind treffender denn je. Die Welt steht noch näher am Abgrund und es ist nichts besser geworden!

Du sprichst darin von Demut, Dankbarkeit und Moral, appellierst an wahre Tugenden und prangerst gesellschaftliche Schieflage, Egoismus und Größenwahn an. Warum?

Das passt immer noch zur Gesamtlage. Aber die Musik war eben zehn Jahre alt, ich wollte einen neuen musikalischen Ansatz finden und diese Themen Menschen zugänglich machen, die damals nicht hingehört haben. Weil sie vielleicht zu jung waren oder einen anderen Musikstil mochten.

Ist das gelungen?

Ich glaube, Musik kann in dem Moment etwas in dir unterstützen, in dem du so weit bist, etwas zu begreifen oder zu verändern. Aber rückblickend gesehen könnte man auch relativ resigniert sagen, dass beispielsweise von der Musik der Hippies und ihrer Bewegung, die etwa Empörung über den Vietnamkrieg kundtat, herzlich wenig übrig blieb. Die Musik ist zwar noch da, aber leben wir seither in einer Gesellschaft ohne Neid und Kriege?

Ohne Proteste wäre der Vietnamkrieg vielleicht nicht so schnell beendet worden? Viele junge US-Amerikaner sagen, dass sie die Plattensammlung ihrer Väter darauf gebracht hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie reisen heute nach Vietnam und schauen sich die Stätten des Krieges an. Hat‘s nicht doch was gebracht?

Sicher, es hat sich viel zum Positiven verändert. Aber man kann nicht behaupten, dass wir auf der Welt keinen Krieg mehr kennen. Vielleicht muss man hier globale und persönliche Wirkung von Musik trennen. Musik kann DEIN Leben retten, aber vielleicht nicht die Welt. Menschen, die durch Musik bewegt werden, deren Leben sich durch ein Musikstück verändert, die können der Motor sein und auch die Welt verändern. Das Schöne ist, dass Musik da ist und auf dich wartet. Sie ist nicht zu dem Zweck da, dich zu verändern oder ihrem Gebot Folge zu leisten. Musik ist einfach da! Du kannst sie erfahren, wenn für dich der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Deshalb finde ich auch, dass auf „Lektionen in Demut 11.0“ die Texte mit der neuen Musik noch viel stärker wirken.

Du giltst als eines der deutschen Aushängeschilder für Umwelt, Vegetarismus, nachhaltiges Leben – wie gehen die Medien damit um?

Ich spreche lieber durch meine Musik. Ich finde es schwierig, dass ich inzwischen so stark als Vorbild gesehen werde. Ich bin nur ein Mensch, mache auch Fehler und bin der Letzte, der dozieren will. Ich versuche so zu leben, dass ich mich immer noch im Spiegel anschauen kann. Natürlich leben wir alle auf Kosten anderer, aber ich versuche wenigstens etwas zurückzugeben.

Inwiefern leben wir auf Kosten anderer?

Die ganze sogenannte Erste Welt kann nur deshalb im Wohlstand leben, weil sie die Menschen in der Zweiten und Dritten Welt ausbeutet. Unser Reichtum wird geschaffen auf dem Rücken anderer, die dafür in Armut leben müssen.

Was gibst du zurück?

Ich glaube an kleine Veränderungen in der eigenen Nähe. Durch Freundlichkeit, positive Gedanken, Respekt und Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber kann ich einen Menschen – glaube ich – so verändern, dass er einfach zum besseren Menschen wird. Aus Frust, einem schlechten Gefühl heraus, verändern wir nichts. Was uns weiterbringt ist eine respektvolle und fürsorgliche Haltung anderen Menschen gegenüber. Und dann ist der Keim gelegt für ein globales Bewusstsein, Gerechtigkeit, Umweltbewusstsein – was dann vielleicht zu Pelletheizung, Solarzellen und einem Hybridauto führt.

Wozu hat es bei dir geführt?

(lacht) Zu einer Pelletheizung, Solarzellen und einem Hybridauto.

Wie nutzt du erneuerbare Energien?

Eine Solarthermieanlage wärmt das Wasser, Fotovoltaik produziert Strom, den ich derzeit komplett ins Netz einspeise, aber später selbst nutzen will. Die Heizung halte ich momentan für eine vernünftige Alternative. Öl ist für mich keine gute Wahl. Aber auch hier gilt: Wenn alle mit Holz heizen würden, hätten wir wieder ein Problem. Ich sehe so oft Holz vergammeln – das setzt ebenso viel CO2 frei wie Verbrennen.

Dann muss recycelt werden! In Indien werden bis zu 90 Prozent der Kunststoffe recycelt …

Die Inder sind dann wenigstens nicht für diesen kontinentgroßen Teppich aus Plastikmüll verantwortlich, der im Pazifik schwimmt und den Meerestieren den Platz zum Leben nimmt. Aber wenn keine Fische mehr da sind, stört der Plastikmüllteppich auch niemanden mehr. Ich denke, dass dies dann auch das Ende der Menschheit und des Lebens ist – alles Leben kommt aus dem Meer.

Was würdest du einem leidenschaftlichen Fleischesser raten, der in Zukunft vegetarisch leben will?

Es gibt für Burger, Currywurst, Gyros oder sogar Scampi vegane Alternativen. Für den Geschmack ist doch das Gewürz verantwortlich, nicht der Rohstoff. Oder findet jemand ein Stück ungewürztes Fleisch lecker? Was auch hilft: Sich immer wieder bewusst werden, wie hoch der Preis ist, den wir für den Fleischgenuss zahlen. Wir schaufeln uns unser eigenes Grab mit Messer und Gabel. Ganz abgesehen vom Leid der Tiere wird die Umwelt durch Gülle und damit durch Treibgas belastet, Weidegrund oder Futteranbau verbrauchen extrem viel Land. Wenn auf diesen Flächen pflanzliche Nahrung für Menschen angebaut würde anstatt für Tiere, bekäme man so zehnmal mehr Menschen satt. Der Fleischkonsum verursacht mehr CO2 als der Verkehr der ganzen Welt. Dazu kommen die Lebensmittelskandale. Wer mag da noch gern Fleisch essen?

Oder nur einmal einmal im Monat Fleisch auf den Tisch bringen? Dann aber regional, bio, ethisch korrekt erzeugt und geschlachtet?

Wenn das jemand schaffen würde, wäre das absolut okay.

Was denkst du über den Flächenfraß für Biokraftstoffe?

Da habe ich noch nicht genug recherchiert, aber rein intuitiv halte ich das für eine schlechte Idee. Hybridautos sind keine Lösung für ewig, auch Elektroautos nicht. Denn wo kommt der Strom her? Bestimmt nicht nur aus Windkraft!

Man könnte Solarkraftwerke in der Wüste bauen!

Und verbraucht dann unendlich viel Energie für Transformatoren und Leitungen, das rechnet sich auch nicht. Es hilft nur, lokal und regional zu denken! Biobauern unterstützen, kleine Biogasanlagen für einzelne Dörfer bauen. Biogas aus Kompost nutzen, Erdwärme anzapfen, Energie aus hiesigen Windparks gewinnen. Lieber einen Apfel vom Nachbarn essen als eine Bio-Ananas aus Übersee. Die rausgeblasene Energie für den Transport rechtfertigt den Genuss nicht. Bio hin, Bio her!

Stichwort Energie: Was machst du für deine persönliche Energie? Anfang des Jahres hattest du einen Hörsturz, ein klassisches Stresssyndrom. Wie kam das?

Ich hab mich wohl zu sehr im Außen verloren. Jetzt versuche ich mehr zu entspannen. Entspannen heißt auch loslassen, gehen lassen, akzeptieren und seine Energien mehr ins Innere verlagern. Da helfen Atmen, Yoga, Meditation und so weiter. Ich bin viel zu sehr im Außen verhaftet, das bringt mein Job mit sich. Vor ein paar tausend Leuten zu stehen und einen Seelenstriptease zu machen, das kostet eine Menge Energie, das geht sehr nach außen.

Manchem Künstler bringt ja gerade das Energie!

Mir ja auch! Es ist eine Mischung, man bekommt auch viel zurück. Ich glaube, dass Ärzte den Hörsturz immer auf Stress schieben, weil sie nicht wirklich wissen woran es liegt. Stress wirkt im Leben jedes Menschen anders. Ich habe in der Zeit meines Hörsturzes alles angezweifelt, wusste nicht mehr, ob ich noch Musik machen will. Oder besser etwas völlig anderes, wenn Musikmachen so stresst. Doch Musik machen mit der Familie (Anmerkung der Redaktion: So nennt Thomas D die Musikergemeinschaft um die Fantastischen Vier und auf seinem Hof) ist wirklich das, was ich möchte: Das ist meine große Liebe! Und wenn ich dabei vor die Hunde gehen muss, dann ist es eben so. Ich sagte in den vergangenen Monaten alles ab, was nicht wirklich nötig war. Heute geht’s mir schon viel besser.

Wer gehört alles zu deiner Familie, der Gemeinschaft, die auf dem Bauernhof in der Eifel lebt?

Aus der Kommune von damals 15 Leuten ist heute eine eher familienähnliche Gemeinschaft mit weniger Menschen geworden. Meine Frau, meine beiden Kinder Max und Lya leben dort sowie sechs weitere Erwachsene wie etwa der Bruder meiner Frau, mein Produzent und Drummer sowie mein Manager und ich. Manchmal sind auch Leute da, die ich gar nicht kenne. Die bleiben ein paar Tage und sind dann wieder weg.

Wie geht’s dem Schwein Erika?

Sie ist nicht mehr alleine, sie hat jetzt das Schwein Schnute als Freundin. Das läuft bei uns immer so! Irgendjemand kommt mit einem Schwein und sagt: Hey guck mal, ich hab eine Sau vom Schlachter gerettet. Hier Thomas, nimm mal!

Nach Erika hast du ja auch dein Studio „Erika Productions“ benannt …

Wir zogen damit in die Scheune um und nun heißt es „Studio One“. Hier ist viel Platz und Raum für Kreativität, wir können jungen Künstlern die Möglichkeit geben, ohne Zeitdruck oder Hotelkosten zu arbeiten. Seit man mit Musik kein Geld mehr verdient, hatten wir hier das Gefühl, richtig viel in Musik investieren zu müssen (lacht). Deshalb heißt das Studio One unter uns nur „Millionengrab“. Ich vermiete es nur an Freunde, es kostet mehr als es bringt. Weil die Musikindustrie heute deutlich weniger als früher verdient, gaben wir auch unser Plattenlabel „Four Music“ (Anmerkung der Redaktion: „Four Music“ gehörte den „Fantastischen Vier“) an die Plattenfirma Sony zurück, damit wenigstens die Mitarbeiter bleiben können. Nur die Bookingagentur „Four Artists“ haben wir behalten.

Produziert ihr das nächste Album der „Fantastischen Vier“ auf deinem Hof?

Weil wir an verschiedenen Orten wie Stuttgart, Berlin, in der Eifel und in Hamburg verteilt sind, arbeiten wir überall. Auch bei verschiedenen Produzenten, mit denen wir unsere Songs aufnehmen – wir können sogar im Hotelzimmer arbeiten, wir sind nicht auf einen festen Ort festgelegt.

Was kann man von den „Fantastischen Vier“ demnächst erwarten?

Ende des Jahres 2011 gehen wir auf Nachfolgetournee zu unseren Sommerkonzerten, einfach weil‘s so schön war! Dann ziehen wir uns zurück und arbeiten an einem Album für 2013. Außerdem bin ich Jurypräsident des „Eurovision Song Contest“, bastle an Solosachen. Ich kann ja nicht aufhören und muss schon wieder neue Projekte starten.

Biografie Thomas D: Leben für die Musik

Thomas D, geboren 1968 als Thomas Dürr in Stuttgart, startete nach einer Friseurlehre in den 80er-Jahren sein erstes Hip-Hop-Projekt und beginnt deutsche Texte zu rappen. 1989 kommt er zu den „Fantastischen Vier“, die mit „Die da“ und dem Album „4 gewinnt“ die Hitparaden stürmen. Seit 1997 veröffentlicht Thomas D auch Soloalben. Er unterstützt Kampagnen für PETA, Terre des Hommes und Amnesty International. Der Titelsong zum Film „Lola rennt“ mit Franka Potente bringt ihm den MTV Europe Music Award. 1999 gründet er eine kreative Landkommune in der Eifel, wo er immer noch lebt. Thomas D ist seit 2003 verheiratet und hat zwei Kinder. Im Dezember 2011 geht Thomas D mit den „Fantastischen Vier“ auf Tournee. Sie geben Konzerte in Münster, Düsseldorf, Leipzig, Braunschweig, Augsburg, Regensburg, Stuttgart und Wien.