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Kaufhaus auf Rädern

Viele Läden leiden unter dem boomenden Online-Handel. Aber es gibt Auswege: Das „Kiezkaufhaus“ liefert die Waren lokaler Geschäfte auf dem E-Bike aus.

Zwischen klobigen Geländelimousinen und Mittelklassewagen wirkt Konstantin Wennings Lieferfahrzeug wie ein Exot. Zügig manövriert der 26-Jährige das weiß lackierte Zweirad mit der großen Metallbox vor dem Lenker und der Aufschrift „Kiezkaufhaus“ durchs Wiesbadener Westend. Auf dem Bürgersteig vorm Hofladen „Haselnuss“ stoppt er; Inhaberin Uta Müller winkt ihm durch die Eingangstür schon freudig zu. Wenn Wenning vor dem Geschäft parkt, weiß sie: Kundschaft. Bis vor kurzem deckten sich fast nur Kunden aus dem Viertel in dem Eckladen mit Bioprodukten ein. Seit vergangenem Herbst kaufen auch Leute aus anderen Wiesbadener Stadtteilen bei Uta Müller ein. Dafür müssen sie sich nicht mal auf den Weg machen: Der Fahrradkurier liefert ihnen die Lebensmittel bis vor die Tür.

Schneller als Amazon

Die 57-Jährige hat die Waren der Online-Besteller schon in Stofftaschen gepackt und neben die Brottheke gestellt: Äpfel, Bananen, Kopfsalat, Gouda und Kaffee. Konstantin Wenning holt die Taschen ab und lädt sie in den Kasten seines Elektro-Lastenrads. Zwölf Läden fährt er heute noch an – als nächstes eine Bäckerei und einen Weinhändler. Dann werden die Waren umgepackt. Anschließend schwingen er und zwei weitere Fahrer sich erneut aufs Lastenrad und liefern sie noch am gleichen Tag bis 21 Uhr aus. „Schneller als Amazon“, steht im Werbe­prospekt.

Virtuelles Warenhaus

Das Kiezkaufhaus will Online-Giganten eine regionale Alternative gegenüberstellen: Auf der Online-Plattform bieten lokale, inhabergeführte Geschäfte aus Wiesbaden und Umgebung ihre Produkte an. Rund 30 Anbieter – Läden, Erzeugerhöfe und sogar das Wiesbadener Staatstheater – präsentieren bislang ihr Angebot, 300 Stammkunden sorgen für rund 20 Bestellungen am Tag. „Wir wollen den örtlichen Einzelhandel stärken“, sagt Nanna Beyer von der Agentur Scholz & Volkmer, die das Konzept mit ihrem Team entwickelt hat. Viele lokale Geschäfte leiden unter dem boomenden Internet-Handel. Läden müssen schließen, Innenstädte veröden, weil Kunden lieber daheim am PC shoppen.

Das Kiezkaufhaus bietet Online-Käufern eine umweltfreundliche Alternative und den lokalen Händlern die Möglichkeit, sich etwas vom Online-Kuchen abzuschneiden. Die Idee kam Geschäftsführer Michael Volkmer, als seine Agentur kurz vor Weihnachten voller Pakete stand. Selbstkritisch dachte Volkmer an den Aufwand, der hinter jedem einzelnen Päckchen steckt: Lkw-Schlangen auf Autobahnen, Lieferwagen in zweiter Reihe, verstopfte Anwohnerstraßen und gewaltige Paket­berge. „Warum gehen wir nicht mehr in die Stadt und kaufen im nächsten Laden?“, fragte er sich. Nanna Beye­r kennt die Antwort: „Waren online zu kaufen, ist bequem. Außerdem arbeiten die Leute immer länger: Viele Geschäfte haben dann schon geschlossen.“ Lassen sich die Online-Affinität der Kunden und das Angebot lokaler Händler miteinander verbinden? Die Idee fürs Kiezkaufhaus war geboren. Der lokale Online-Shop will die Geschäfte im Netz präsenter machen und zugleich untereinander vernetzen. Das Konzept geht auf: Ein Wildbauer verkaufte sein Fleisch schon in einem Modeladen, andere Händler denken über Kooperationen nach.

Fotoshooting vor der Käsetheke

Auch „Haselnuss“-Inhaberin Uta Müller ist begeistert: Seitdem sie Waren übers Kiezkaufhaus vertreibt, stieg ihr Umsatz um 15 Prozent. „Wir hatten vorher keinen Online-Vertrieb und hätten es zeitlich nicht geschafft, selbst auszuliefern. So aber ist das machbar.“ 15 bis 30 Minuten braucht sie im Schnitt fürs Taschenpacken. Einzig das Fotoshooting im Laden hätte länger gedauert, sagt Uta Müller schmunzelnd: „Der Fotograf hat bis tief in die Nacht Bilder geschossen, wir mussten die Regale immer wieder ein- und auspacken.“ Dafür sehen die Fotos auf der Website nun auch aus, als würde man direkt vor der Käsetheke stehen. Mancher bekommt beim A­nblick sogar einen wässrigen Mund und macht sich doch auf den Weg in den Laden – Online-Handel hin oder her

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Die Fahrer des Kiezkaufhauses bringen Waren lokaler Händler mit dem E-Lastenrad zum Kunden. Der kann die Produkte vorher bequem auf dem Tablet shoppen. Foto: PeopleImages/iStock

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Das Kiezkauhaus in begehbarer Form: als Pop-Up Store in Wiesbaden. Foto: ®kiezkaufhaus

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Nanna Beyer von der Agentur Scholz & Volkmer, hat die Idee mit ihrem Team entwickelt. Foto: Rui Camilo


Online-Handel wächst

Drei Viertel aller Deutschen kaufen Produkte und Dienstleistungen online. Das Problem: Der Transport bis vor die Tür verursacht zusätzliche CO2-Emissionen und viel Verpackungsmüll. Außerdem verstopfen Lieferwagen häufig Anwohnerstraßen. Doch es gibt durchaus Möglichkeiten, nachhaltiger online zu shoppen.