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Mit dem Pedelec über die Alpen

Wann schalte ich den Motor zu, wann trete ich ohne elektrische Hilfe? Diese Frage begleitete mich neun Tage lang beim größten Abenteuer meines
Lebens.

Endlich geht’s los, von Rosenheim an den Gardasee. Die ersten Kilometer am Inn entlang bis Kufstein sind schön flach. Der Motor bleibt aus, auch beim „Erler Wind“, der uns entgegenbläst. Denn die Kraft aus dem Akku brauche ich noch für die anstehenden Anstiege. Zuerst müssen wir – mein Mann Thomas und ich – aufs Juffinger Jöchl. Gemessen an den Übergängen, die wir noch vor uns haben, ist das eigentlich nur eine „Schippe voll Sand“. Aber der Weg zieht gnadenlos steil in den Himmel, der Computer zeigt 22 Prozent Steigung an. Ohne die 110 Watt, den der im Sattelrohr fixierte E-Motor an die Tretlagerwelle abgibt, wäre ich längst abgestiegen. Das ist der Clou am „Assist“-Antrieb: Er unterstützt ein bisschen, fit muss man trotzdem sein. Im Dauerbetrieb hält der Akku 90 Minuten. Wer wie ich acht Stunden oder länger unterwegs ist, sollte den Motor also nur zuschalten, wenn’s extrem steil wird.

 

Über den Alpenhauptkamm

 

Tag 3, 7.15 Uhr. Es regnet und das Thermometer am Krimmler Tauernhaus zeigt ungemütliche acht Grad – ausgerechnet heute müssen wir über den Alpenhauptkamm. In Regenjacken und -hosen rollt es sich die ersten Kilometer auf der Forstpiste prima, sogar der Regen lässt nach. Wunderbar: Mein Motor sirrt kaum hörbar vor sich hin, die Muskeln werden warm. Bergauffahren macht so richtig Spaß!
An der Windbachalm ist dann aber auch für mich Schluss: Ab hier heißt es schieben und tragen, insgesamt 600 Höhenmeter müssen wir schaffen. Ein Glück, dass ich kein herkömmliches E-Bike mit 20 Kilogramm über die Steine wuchten muss. Meins wiegt inklusive Motor und Akku nur 13 Kilogramm. So komme ich zwar langsam, aber immerhin stetig voran. Nach zweieinhalb Stunden sind wir da: Oben am Pass pfeift der Wind und klatscht uns Schneeflocken ins Gesicht. Doch der weite Blick ins Südtiroler Ahrntal entschädigt für die Strapazen. Und ganz im Süden lacht die Sonne auch schon wieder.

 

Alles auf der Kippe

 

Dann der Abstieg. Beim Schieben greift die vordere Bremse ins Leere! Zum Glück wäre ich den steilen, regennassen Plattenweg sowieso nicht gefahren. Allerdings frage ich mich, wie’s weitergeht, wenn wir unten angekommen sind? Im Tal rolle ich nur hinten bremsend vorsichtig gen Bruneck. Den Fahrradhändler in Luttach flehe ich an, sich meine Bremse sofort anzusehen. Er ist hilfsbereit und macht sich ans Werk: „Das Hydrauliköl ist ausgelaufen. Kommt in einer Stunde wieder.“
Ein Problem weniger. Aber das heutige Etappenziel schaffen wir nicht mehr – zu viel Zeit verloren. Ich zücke das Handy: „Geht schon“, meint Erika, die Wirtin der Rastnerhütte, „Hubert holt euch ab.“ Am verabredeten Parkplatz verstaut Hubert die Rucksäcke und Räder in seinem Allrad-SUV. Die 1000 Höhenmeter zur Hütte erklimmt das Drehmoment-Monster im Nu. Oben gehen wir fix duschen, dann machen wir uns bei einem Viertel Rotwein über das köstliche Wildschwein-Ragout her.

 

Mitten in der Fototapete

 

Wir sind in den Dolomiten. Es ist, als hätte jemand eine riesige, kitschige Fototapete um uns herumgespannt. Zwölf Stunden sind wir dort insgesamt unterwegs, davon schieben wir die Räder knapp die Hälfte der Zeit steilste Wanderwege hinauf oder tragen sie über wurzeldurchsetzte, felsverblockte Pfade. Unfahrbar, die härteste Etappe! Unser Ziel erreichen wir mit dem letzten Tageslicht. Nach einem Teller Spaghetti fallen wir kaputt in die Betten der Brogleshütte.
Die folgenden Abschnitte führen uns über die Seiseralm, durchs Lagoraigebirge und auf die Hochebene der Sette Comuni. Am neunten Tag haben wir es geschafft und rollen mittags in Torbole ein. Als Allererstes stürzen wir uns in den Gardasee. Dann, bei Pizza und Weißbier, bilanziert der Computer: 550 Kilometer Strecke und 13.000 Höhenmeter bergauf. Auf Facebook poste ich: „Hart gekämpft, viel erlebt, grandiose Landschaften. Bin überglücklich und ein kleines bisserl stolz.“ Ohne meinen verborgenen elektrischen Assistenten hätte ich das nie geschafft.

Hier finden Sie wunderbare Impressionen vom Alpencross.

 

 


 

Das Kraftpaket

 

Der Antrieb des Herstellers Vivax bleibt äußerlich fast unentdeckt.

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Das geringe Gewicht von nur 1,8 Kilogramm inklusive Akku und die Positionierung des Motors im Sattelrohr erhält das authentische Fahrgefühl eines geländetauglichen MTB. Ist der Motor aus, fährt es sich wie ein normales Rad.Bei Bedarf wird der Motor zugeschaltet und unterstützt mit 110 Watt Zusatzpower. Fast jedes Fahrrad kann mit diesem System nachgerüstet werden. So funktioniert der Vivax-Antrieb.


 

„Wir sorgen für das I-Tüpfelchen“

 

Zu ihm kommen Biker, die auf Individualität statt Massenprodukt setzen: Markus Mayr, Geschäftsführer von Steinbach Bike in Kitzbühel. Wir sprachen mit ihm über Assist-Antriebe und den Effekt von 100 Watt.

 

Herr Mayr, Sie haben sich auf Räder mit Vivax-Assist-Antrieb spezialisiert. Wer ist der „typische Käufer“?

Unsere Kunden sind fitte Mountainbiker und Rennradfahrer, die aus Zeitmangel, altersbedingt oder zum Leistungsausgleich in der Gruppe beziehungsweise in Paaren einen Elektromotor wollen. Obwohl unsere Räder im hochpreisigen Segment angesiedelt sind, spielt nicht der „Wohlstand“ der Kunden, sondern ihre Leidenschaft für den Radsport die Hauptrolle beim Kauf.

 

Der Assist-Antrieb kann auch nachträglich eingebaut werden. Welche Räder eignen sich dafür?

Für uns ist der Antrieb das i-Tüpfelchen auf dem Rad. Geeignet ist im Prinzip jedes mit einem geraden Sattelrohr – aber bei einem auf den Kunden zugeschnittenen Bike ist das ohnehin keine Frage. Wer ein billiges und damit schweres Rad mit einem Assist-Antrieb ausstatten will, sollte sich fragen, ob das sinnvoll ist; da stehen die Nachrüstkosten in keinem Verhältnis zur Wertigkeit des Rads.

 

Guter Punkt: Wie viel muss man investieren, um mit 100 Watt extra die Berge zu erklimmen?

(Mayr lacht) An Geld oder an Eigenleistung in Watt? Nun, das ist pauschal schwer zu beantworten. Jedes Rad von uns wird individuell auf die Wünsche des Kunden zugeschnitten. Der Assist-Antrieb kommt auf 2500 Euro. Ein Einsteiger-Rad von uns kostet dann 5000 Euro. Nach oben gibt es fast keine Grenzen.

 

Wo liegen denn die Grenzen beim Leichtbau, insbesondere bei Rädern mit Assist-Antrieb?

Momentan bieten wir das weltweit leichteste Serien-Elektro-Rennrad an mit nur 8,5 Kilogramm. Das kostet über 13.000 Euro. Bei Mountainbikes ist die Grenze nicht so einfach zu beschreiben, da der Einsatz zu unterschiedlich ist und damit die Ausstattung. Ein E-Assist-Rad sollte aber nicht mehr als 14 Kilogramm wiegen. Sonst ist das Antriebssystem mit 100 Watt zu schwach. Wir werden auch in Zukunft versuchen, unsere Räder noch leichter zu bauen – solange es Sinn macht.

[contentImage source=“5247721″ desc=“Markus Mayr und Brixa Steinbach leiten die Kitzbühler Fahrradmanufaktur.“ title=““ align=“rechts“ /]

Der Antrieb reicht unter Volllast etwa 90 Minuten, viele Biker sind aber länger unterwegs. Wie teilt man sich das ein?

Wir rechnen hier nicht in Minuten, sondern in Höhenmetern. So ausgedrückt, liegt die Kapazität bei 1300 Höhenmetern. Unsere Zielgruppe sind wie gesagt fitte, sportliche Radfahrer, die nicht die ganze Zeit mit Antrieb fahren. Die planen ausgedehnte Touren, mit 2000 Höhenmetern oder mehr.

 

Schmutz und Nässe können dem Antrieb zusetzen. Wie schützen Sie das System?

Dies ist die Aufgabe des Herstellers. Die neuralgischen Punkte sind bekannt und wir weisen unsere Kunden darauf hin. So können sich bei Mountainbikes etwa durch Erschütterungen Steckkontakte lockern und bei Regen kann Nässe durch die Bohrung fürs Akkukabel ins Sattelrohr eindringen. Ich denke, technisch gibt es Optimierungspotenzial.