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Netzausbau: effizient und intelligent?

Wie gehen der Netzausbau und der Ausbau der erneuerbaren Energien Hand in Hand? Dr. Stephanie Ropenus von Agora Energiewende verrät es uns im Interview.

Die Agora Energiewende ist ein Berliner „Denk- und Politiklabor“, das sich unter anderem mit den energiepolitischen Vorhaben der Bundesregierung beschäftigt. Sie ist nicht Teil eines Ministeriums oder einer Behörde, sondern versteht sich als unabhängige Beratungsinstanz und Impulsgeber. Ihr Augenmerk richtet sie auf wissenschaftliche fundierte und politisch umsetzbare Konzepte. Dr. Stephanie Ropenus und ihre Kollegen haben sich mit der Frage beschäftigt, wie der Ausbau der Netze und der Ausbau der erneuerbaren Energien Hand in Hand gehen. Ihre Antwort können wir vorwegnehmen: Beide bremsen sich nicht gegenseitig, es gibt auch kein Henne-Ei-Problem. Vielmehr können die bestehenden Netze wesentlich effizienter genutzt werden – ohne den Ausbaubedarf zu ersetzen. Zwölf „Hausaufgaben“ hat das Agora-Team der Politik wie der Energiewirtschaft ins Stammbuch geschrieben. Wir greifen einige der wichtigsten heraus.

Netzausbau: effizient und intelligent?

Frau Dr. Ropenus, allgemein wird der schleppende Netzausbau beklagt, sogar von der Politik. Besteht noch Hoffnung, dass er besser vorankommt?

Ja, diese Hoffnung ist durchaus begründet. Beim „Netzgipfel“ am 20. September haben sich Bund und Länder über ein gemeinsames Vorgehen verständigt und konkrete Maßnahmen beschlossen. Sowohl was die Gesetzgebung zur einfacheren Planung als auch was die schnellere Umsetzung betrifft. Sogar einige Ideen für kurzfristige Maßnahmen haben die ÜNB aufgegriffen.

Was schlagen Sie vor: Wie kann das Netz effizienter werden?

Zu den Maßnahmen, die wir anregen, gehört das Freileitungsmonitoring (FLM). Stromleitungen haben bei niedrigeren Temperaturen – beispielsweise wenn Wind sie kühlt – eine höhere Übertragungskapazität. Mit einer genaueren Temperaturüberwachung der Leitungen anstelle einer pauschalen Regelung lässt sich also die mögliche Übertragungsleistung steigern. Ähnlich sieht es bei Hochtemperaturleiterseilen (HTLS) aus: Neuentwickelte Legierungen vertragen höhere Temperaturen und ermöglichen höhere Kapazitäten.

Darüber hinaus schlägt Agora Energiewende eine Lastflusssteuerung durch Phasenschieber im Übertragungsnetz vor. Vereinfacht gesagt können dadurch Stromflüsse von stark belasteten Leitungen auf benachbarte, weniger stark belastete Leitungen „umgeleitet“ werden. Das würde ein kostspieliges Engpassmanagement reduzieren und wäre im Übrigen ein weiterer Schritt zu einem stärker automatisierten Betrieb des Netzes.

Muss das Netz größer und leistungsfähiger werden?

Unser Konzept zielt darauf ab, das bestehende Netz optimal zu nutzen. Alle Maßnahmen greifen ineinander. Das heißt, wir brauchen sowohl den für das Jahr 2030 vorgesehenen Netzausbau von neuen Leitungen als auch die Optimierungsmaßnahmen, um kurzfristig Potenziale zu heben. Bei der Planung des Netzausbaus empfehlen wir sogar, den Bedarf für spätere Jahre miteinzubeziehen. Daher die Idee, beim Bau der großen Stromtrassen von Nord nach Süd gleich Leerrohre für spätere Leitungen zu verlegen. Allerdings ist jetzt vor allem eine zügige Umsetzung des Netzausbaus erforderlich. Hierfür sind Vereinfachungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren wichtig. Immer wichtiger wird es zudem, Netzengpässe auch dadurch zu entlasten, dass Stromverbraucher an neuralgischen Stellen gezielt gesteuert werden. Das sind zum Beispiel große Wärmeerzeuger, so genannte Power-to-Heat-Anlagen, Batteriespeicher und Wärmepumpen. Sie könnten über sogenannte Smart Markets oder Flexibilitätsplattformen Anreize erhalten, sich netzdienlich zu verhalten und so den Stau im Netz verhindern.

Und welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Eine enorm wichtige. Es ist nicht mehr wie früher, als wenige Kraftwerke den Strom für viele Verbraucher erzeugt haben. Stattdessen haben wir schon heute viele kleine, dezentrale Erneuerbare-Anlagen: rund 1,6 Millionen Photovoltaikanlagen und fast dreißigtausend Windanlagen. Anders als Großkraftwerke sind die meisten dieser Anlagen an das Verteilnetz angeschlossen. Auch auf der Verbrauchsseite tut sich etwas: Wärmepumpen, Batteriespeichersysteme und Elektroautos kommen neu ins Stromsystem, sie sind Teil der Sektorenkopplung zwischen Strom, Wärme und Verkehr. Damit steigt die Komplexität im Netz. Deshalb brauchen wir Netzzustandsdaten, da Strom ein Gut ist, dass in Echtzeit koordiniert werden muss. Das geht nur mit der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), also der Digitalisierung. Sie ermöglicht Messung, Kommunikation und Steuerung gleichermaßen. Dabei gilt es, auf Datenschutz und Datensparsamkeit zu achten. Die Aufgabe der Politik ist es, den Regulierungsrahmen für die Digitalisierung des Stromnetzes proaktiv zu gestalten – und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu klären.

Hilft die Sektorenkopplung dabei, das Netz effizienter zu machen?

Unsere Studie zu dem Ziel, 2030 etwa zwei Drittel des Strombedarfs aus Erneuerbaren zu decken, hat vorrangig die Netze untersucht. Wir haben die Verkehrswende und die Wärmewende dabei außen vor gelassen. Wir untersuchen das an anderer Stelle. Klar scheint: Eine Million Elektroautos oder eine Million elektrische Wärmepumpen bringen neue Netzlasten – aber sie ermöglichen auch mehr Flexibilität.


Die Annahmen von Agora Energiewende

Bis 2030 stammen 65 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen. Vorrangig sind das Windkraft und Photovoltaik. Bei einem konstanten Stromverbrauch von etwa 600 Terawattstunden (TWh) entspricht das 390 TWh aus erneuerbaren Energien. Um die benötigte Erzeugungskapazität bereitzustellen, ist ein jährlicher Zubau erforderlich: von 5 Gigawatt (GW) bei der Photovoltaik, von 4 GW Windkraft an Land und bis auf 20 GW gesamt offshore.

Die Ergebnisse von Agora Energiewende

Das Impulspapier “Stromnetze für 65 Prozent Erneuerbare bis 2030“ kommt zu dem Ergebnis, dass das deutsche Stromnetz bis 2030 etwa 65 Prozent Erneuerbare Energien aufnehmen kann, wenn es modernisiert wird. Eine Kombination aus technischen Neuerungen, Regionalsteuerung beim Zubau der Erzeugungsanlagen und intelligenter Verteilung der Stromflüsse erlaubt eine wesentlich höhere Auslastung bestehender Netze.

Bis 2030 wird das bestehende Stromnetz auf einen zunehmend automatisierten Netzbetrieb umgestellt. Der schrittweise Übergang Richtung Netzsteuerung in Echtzeit erlaubt ebenfalls eine bessere Auslastung vorhandener Netze, ohne Einschnitte bei der Netzsicherheit. Die Digitalisierung ebnet hierfür den Weg.

Die geplanten Gleichstromautobahnen (HGÜ) sollten so dimensioniert werden, dass weitere Großprojekte weder bis 2030 noch danach bis zur Vollendung der Energiewende erforderlich werden. Entweder durch eine Aufstockung der Übertragungsleistung der geplanten Trassen oder durch die Verlegung von Leerrohren in diesen Trassen, in die später bedarfsgerecht zusätzliche Kabel eingezogen werden können.